Mitten in der 2. Corona (dauer-) welle... Videosprechstunde und Herr Spahn...
Alles geht wieder so los wie im Frühjahr 2020, in den ersten Monaten der Coronakrise? Oder doch nicht? Nein nicht ganz, denn wir wissen jetzt mehr über den SARS-CoV-2-Virus und wie wir uns so weit möglich vor ihm schützen können. Aber noch mal zurück auf Anfang. Als wir im März von dem neuen Virus hörten, wussten wir noch nicht, wie wir uns vor ihm schützen können. Wir öffneten unsere Praxis nur für Notfälle und beschränkten uns sonst auf Telefonate und die neu eingerichtete Videosprechstunde (VSS), um die Anliegen und Probleme unserer Patienten zu lösen. Es vollzog sich ein "digitaler overdrive", den ich mir vorher in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Auch mein Lebenspartner hatte es nicht leicht mit mir, denn er richtete mir in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit eine Praxiswebsite ein, die meinen Patient*innen die schnelle Kontaktaufnahme zur Praxis ermöglichte. Außerdem konnten sie so auch einen Termin zur Videosprechstunde anfragen. Eigentlich konnte es jetzt also losgehen... Aber so einfach war das alles nicht. Erst einmal musste ich eine Software installieren, die den Sicherheitsanforderungen einer Videosprechstunde erfüllte. Eine Software, bei der sich der Patient/die Patientin nicht mit ihren persönlichen Daten registrieren müssen. Es stellten sich mir auch so viele Fragen. Werde ich mit diesem digitalen tool auch meine älteren Patienten erreichen und sie verantwortungsvoll weiter versorgen können? Wird das digitale Nomadenland Deutschland einen reibungslosen Ablauf einer VSS ermöglichen? Um nur ein paar meiner damaligen Gedanken in Worte zu fassen.
Alles was der Patient/die Patientin zur Teilnahme an der Videosprechstunde braucht ist ein Chrome- oder Firefoxbrowser. Aber schon beim ersten Termin gestaltete sich das nicht gerade so einfach. Bis ich verstand, dass der Patientin den ihm von mir personalisierten link in die Google-Suchmaske eingegeben hatte. Das konnte natürlich nicht funktionieren. Aber so lernte auch ich im Laufe der Zeit, wie ich die Patient*innen noch besser auf die VSS vorbereiten konnte. Allerdings dauerte so eine Konsultation meistens deutlich länger als 15 Minuten, so dass ich in den letzten Monaten eigentlich keinen Feierabend mehr kannte. Und auch die Wochenenden ließen keine Zeit mehr für die so dringend benötigte Regeneration. Denn ich konnte jetzt auch zu Hause arbeiten. Dank eines eingerichtetn VPN-Tunnels hatte ich jetzt die Möglichkeit, von zu Hause aus auf meine Praxissoftware zuzugreifen.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang auch noch einmal ganz herzlich bei meinem gesamten Praxisteam bedanken. Ohne meine Mitarbeiterinnen wäre der ganze bürokratische Wahnsinn in dieser Zeit und die sich ständig ändernden Anforderungen an die Hygieneauflagen etc. so gar nicht zu bewältigen gewesen. Leider mussten wir krankheitsbedingt auch noch auf eine Mitarbeiterin für mehrere Wochen verzichten. Mit einer unbeschreiblichen Geduld und höchster Einsatzbereitschaft erledigten meine Damen jeden Tag aufs neue die kaum zu bewältigenden Massen an zusätzlicher Arbeit. Fast täglich erhielten wir neue Vorgaben unter anderem auch bei der Durchführung, Abrechnung und Anforderungsformalitäten bezüglich der Coronaabstriche und den zu treffenden Hygienemaßnahmen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Aber nun zurück zur Videosprechstunde. Plötzlich war ich auch bei meinen älteren Patient*innen zu Hause virtuell zu Gast, auf dem Küchentisch, im Wohnzimmer, bei meinen jüngeren auch in der Garage, auf der Terrasse,bei der Arbeit, im Auto, und ich weiß gar nicht mehr ganz genau wo noch alles. Ganz lieben Dank auch an alle digital versierten Angehörigen, die diese Art der virtuellen Kontaktaufnahme bei so vielen meiner Patienten ermöglicht haben. Die jüngeren Patienten waren auch total begeistert, dass sie jetzt auch von unterwegs eine Sprechstunde mit mir abhalten konnten. Und während sie auf den mit dem personalisierten link verschickten Termin warteten, konnten sie sich auch mit anderen wichtigen Dingen wie zum Beispiel Kaffetrinken ;) beschäftigen, bis ich sie von meinem virtuellen Wartezimmer in mein online Sprechzimmer einließ. Auch das Personal der Altenheime unterstützte uns bemerkenswert und mit höchstem Engagement zum Teil mit ihren privaten digitalen Geräten bei der Durchführung der VSS. Nur leider ein Altenheim hier in Königslutter hielt es noch nicht einmal für nötig, mich auf meine Bitte hin zurückzurufen. Die Verantwortlichen nahmen also billigend in Kauf, dass ich meine zum Teil deutlich über 90jährigen Bewohner*innen mit meinem Hausbesuch in Gefahr brachte. Das machte mich doch wirklich sprachlos, aber auch in der Verganganheit ist dieses Altenheim in Bezug auf kooperatives Verhalten nicht gerade positiv in meiner Praxis aufgefallen...
Nach kurzer Zeit merkte ich auch, dass das Abhalten einer VSS sehr viel anstrengender war, als eine reale Sprechstunde. Ich konnte mich ohne den persönlichen Kontakt nicht mehr auf meine Intuition oder mein Bauchgefühl verlassen, was ich im persönlichen Kontakt so oft nutzen konnte. Man muss noch aufmerksamer sein, um alles ganz genau registrieren zu können, was einem in einem virtuellen Gespräch vermittelt wird. Es fehlt die Gestik, auch die so wichtige Mimik und die non-verbale Kommunikation. Auch die körperliche Untersuchung des Patienten kann ja nicht real durchgeführt werden. Und trotzdem war ich positiv überrascht, für wie viele Anliegen und Probleme meiner Patienten die virtuelle Sprechstunde genutzt werden konnte. Zumal ich ja über die Kamera auch Hauterkrankungen etc. begutachten konnte.
Aber es gab natürlich auch andere Patient*innen, die sich über unseren eingeschränkten "lock-down" in der Praxis aufregten. Sie meinten bei anderen Ärzten sei doch auch noch eine normale Sprechstunde möglich. Natürlich konnte ich auch sie verstehen, denn sie hatten zum Teil ja noch gar nicht realisiert, was denn da so eigentlich in der Welt vor sich ging. Andere wollten sich da auch gar nicht weiter mit beschäftigen, und ich sah schon den virtuellen "Alluhut" auf ihren Köpfen glitzern. Aber so sind Menschen nun mal. Mir war zuallererst die Gesundheit meiner Familie, meiner Mitabeiterinnen nebst Familien und die meiner Patienten wichtig. Ganz davon abgesehen, dass wir in der ersten Zeit noch nicht einmal über die notwendige Schutzausrüstung verfügten. Nach ein paar Wochen erhielten wir dann eine in Europa nicht den Sicherheitsanforderungen entsprechende Schutzausrüstung von unserer Kassenärztlichen Vereinigung. Wenn es in dieser Zeit hier in unserer Region schlimmer mit den Infektionsszahlen gewesen wäre, hätten sie uns alle geopfert...
Ein paar Tage später hörte ich von betroffenen Praxen in unserer Nähe mit positiv getestetem Personal und deren Patienten, die schließen mussten und in Quarantäne gesetzt worden sind. Puuuh, alles richtig gemacht. Erst als wir dann eine sichere Schutzausrüstung bekamen, zum Teil von uns persönlich beschafft, konnten wir noch wirtschaftlich retten, was noch zu retten war. Denn wir hatten ja auch alle Routinetermine wie Vorsorgen, Termine zur regelmäßigen Untersuchung unserer chronisch kranken Patienten zunächst abgesagt. Wir wussten zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht, wie wir wirtschaftlich aus diesem Quartal herauskommen werden. Der vermeintliche Rettungsschirm der Regierung traf nur auf Praxen zu, die mehr als 10% weniger Patienten in dem Quartal versorgten. Aber nicht die Anzahl der Patienten ist auf dem Land das Problem in unseren Praxen, sondern der aus den abgesagten Terminen resultiernde Einbruch beim Fallwert. Denn weder Telefonate noch Videosprechstunde konnten das abpuffern. Für eine VSS erhielten wir zum Beispiel 4,39€!!! Wenn die Digitalisierung in den Praxen vorangetrieben werden soll, dann doch bitte nicht zum Supermarkttarif!
Und was ist jetzt im letzten Quartal diesen Jahres? Jetzt wo die Infektionszahlen wieder steigen, angesichts der sinkenden Temperaturen? Die Videosprechstunde ist so gut wie verwaist. Man kommt einfach gerne wieder in die Praxis, natürlich unter den eingeschränkten Sicherheitsbestimmungen. Die Erkältungswelle hat begonnen und bei den entsprechenden Symptomen kann ich jetzt auf der meiner Praxis angeschlossenen Dachterrasse bei den entsprechenden Symptomen einen Rachenabstrich auf SARS-CoV-2 durchführen. Es ist die Zeit der Grippeimpfungen. Ich bin schon froh, dass wir rechtzeitig den Grippeimpfstoff bekommen haben. Ich weiß von anderen Praxen, dass es auch da Schwierigkeiten gegeben hat. Und als ob wir mit dem ganzen Wahnsinn der letzten Monate nicht schon genug zu tun hätten, beglückt uns Herr Spahn in kurzen regelmäßigen Abständen mit neuen Gesetzesentwürfen und in rasender Geschwindigkeit durchgepeitschten Gesundheitsgesetzen. Diese belaufen sich in der letzten Zeit vor allem auf die Forcierung der Digitalisierung in unseren Praxen. Wir werden unter Androhung von finanziellen Strafen gezwungen, zusätzliche bürokratische Aufgaben zu erfüllen, die unseren Praxen keinen Mehrwert bieten. Wir werden mehr und mehr zum Erfüllungsgehilfen der Krankenkassen degradiert. Wir müssen Aufgaben übernehmen wie zum Beispiel den Abgleich der Versichertenstammdaten, die auf der Krankenversichertenkarte gespeichert sind. Diese sollen von uns auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden! Seit wann ist das eine ärztliche Aufgabe???
Es sind bis dato Millarden an Geldern in den Wind gesetzt worden, nur um bisher lediglich in der Lage zu sein, Name, Vorname, Geburtsdatum,Anschrift und Versichertenstatus der Patienten auf der Krankenversichertenkarte zu speichern? Seit Jahren werden weitere Gelder verschwendet, um in eine völlig veraltete Technik zu investieren, die in Bezug auf Datensicherheit zu wünschen übriglässt. Unter den gegebenen sicherheitsbedenklichen Umständen, kann ich meinen Patienten unter keinen Umständen empfehlen, weitere Daten wie Arztbriefe, Laborbefunde oder andere bis dato unter der Schweigepflicht bei den Ärzten in guten Händen befindlichen persönlichen Patienteninformationen in die digitale Patientenakte einpflegen zu lassen. Zu Beginn werden Sie als Patienten noch gefragt, wer danach Zugriff auf Ihre persönlichen Patientenunterlagen haben darf. Aber wie lange werden Sie noch danach gefragt? Und glauben Sie mir, Ihre Gesundheitsdaten sind nicht nur für die Gesundheitsindustrie sehr wertvoll. Und jetzt sagen sie bitte nicht: "Ich habe doch nichts zu verbergen"! Denken Sie nur wie wichtig Ihre gesundheitlichen Befunde für die Versicherungsbranche zum Beispiel bei Abschluss einer Lebensversicherung sind. Welche Daten, die bei Vertragsabschluss derzeit noch gar nicht abgefragt werden, könnten in der Zukunft dann aber Berücksichtigung finden, zu erhöhten Beiträgen führen oder den Vertragsabschluss erst gar nicht mehr möglich machen? Oder bei einem Wechsel der Krankenkasse? Was werden diese in Zukunft zur Auflage machen, wenn sie Sie als Patienten aufnehmen sollen. Auch die völlig frewillig übertragenen Daten von fitness-trackern könnten noch zu interessanten Entwicklungen bei den Aufnahmekriterien oder den monatlichen Beiträgen bei Versicherungen, Krankenkassen etc. führen!
Danke Herr Spahn!!!!!
Aber für heute soll es genug sein. Ich werde weiterhin Donnerstag nachmittags regelmäßig eine Videosprechstunde durchführen, um Ihnen diesen wichtigen Service anbieten zu können. Ich freue mich, wenn ich Sie mit meinem Blog ein bisschen mehr über die Vorgänge in der Gesundheitspolitik informieren darf. Leider bleibt ja dazu in der Praxis zu wenig Zeit. Dafür schreibe ich diesen Blog. Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, wie eigentlich mit Ihnen als Patienten und uns als Ihre bertreuenden Ärzten umgegangen wird. Ich bin mir sicher, dass Sie viele meiner Informationen doch nachdenklich stimmen werden. Ich freue mich darauf, Sie bald wieder persönlich in meiner Praxis begrüßen zu dürfen. Bleiben Sie schön gesund, und achten Sie bitte darauf, dass auch andere es bleiben dürfen!